50 YEARS OF LIMITS TO GROW: Gedanken zum Salon
„50 Years of Limits to Growth“
Gedanken zum Salon von Leonardo van Straaten
Vor mir liegt eine Taschenbuchausgabe des Berichts an den Club of Rome: „Die Grenzen des Wachstums“. Vergilbt, ein wenig zerfleddert. Ich war 18, als ich sie erstmals gelesen habe. Ich blättere darin, während ich auf den Beginn des Livestreams warte. 50 Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe, ist „Limits to Growth“ noch immer aktuell. Wie die Welt sich seitdem weiterentwickelt hat, erlebe ich in diesem Augenblick ganz konkret, denn ich muss nicht nach Berlin reisen, um am fachlichen Teil des Salons zu partizipieren. Auch der Hauptredner, Dennis Meadows, wird online zugeschaltet. Er hatte die dem Buch zugrunde liegende Studie zusammen mit seiner damaligen Frau Donella geleitet. Ich frage mich, ob er wohl heute so emissionsarm zu uns sprechen könnte, wenn manche der im Buch beschriebenen Entwicklungen bereits eingetreten wären.
Von der Nachhaltigkeit zur Resilienz
50 Jahre sind der Klassiker für bedeutende Jubiläen. Meist blickt man dabei zurück. Auch Meadows. Er beginnt seinen Vortrag mit einer Fotografie von 1972, die ihn bei der Präsentation von „The Limits to Growth“ in Washington zeigt. Dann zeichnet er die Jahre 1972 und 2022 in die altmodisch wirkenden Computerausdrucke des damals innovativen systemanalytischen Modells World3 ein, vergleicht die berechneten Szenarien mit den tatsächlichen Entwicklungen, bleibt aber nicht beim Rückblick. Um Schlussfolgerungen für die Zukunft abzuleiten, arbeitet er mit einfachen Skizzen nahezu spielerisch heraus, wie gesellschaftliche Rückkopplungsschleifen funktionieren und was sie bedeuten. Sein persönliches Fazit: Um uns auf die gewaltigen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten, müssen wir unseren Schwerpunkt verlagern: Von der nachhaltigen Entwicklung auf die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz). Das bedeutet, auf allen Ebenen der Gesellschaft diejenigen Fähigkeiten zu verbessern, die Anpassungen an nicht vorhergesehene schockartige Ereignisse ermöglichen.
Vor dem aktuellen Hintergrund simultaner Multikrisen leuchtet die Botschaft von Dennis Meadows schnell ein. Aber was geschieht? Ein Gefühl darüber vermittelten Saori Dubourg und Dr. Patrick Graichen. Beide wurden geboren, als die „Grenzen des Wachstums“ ausgearbeitet bzw. publiziert wurden. Heute bekleiden sie als Vorstandsmitglied der BASF bzw. als Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Spitzenpositionen in der Großindustrie bzw. in der Regierung, die es ohne den Anstoß durch die „Grenzen des Wachstums“ vielleicht gar nicht geben würde. Beide machen in ihren Vorträgen eindrucksvoll deutlich, dass sich in Industrie und Politik wesentlich mehr bewegt, als die mediale Berichterstattung vermuten lässt. Ob das reicht?
Too little too late?
Die Podiumsdiskussion zeigt, dass sich das Konzept der „Grenzen des Wachstums“ zum Konzept der planetaren und gesellschaftlichen Grenzen weiterentwickelt hat. Aber vermutlich wissen die meisten Gäste das schon. Anders ein Bekannter von mir. Der sympathische Mittfünfziger, ein erfolgreicher Geschäftsmann, verblüffte mich vor einigen Wochen, als ich auf die „Grenzen des Wachstums“ zu sprechen kam: „Nie gehört“. Zwar ist er der aktuellen Flut an Berichterstattungen zum Klimawandel nicht entkommen, betreibt aber weiterhin „business as usual“. „Meine Kunden wollen das so.“
Nicht nur seine Kunden. Die Panelisten des heutigen Abends sind wegen der wenige Tage vor dem Salon nahezu ergebnislos zu Ende gegangenen COP 27 in Sharm El-Sheikh erkennbar frustriert. Ich horche auf, als Patrick Graichen seine Sorge darüber zum Ausdruck bringt, dass sich zwar viel bewegt, aber nicht schnell genug.
Nicht schnell genug oder noch nicht schnell genug? Dies wäre eine Gelegenheit gewesen, auf den im September erschienenen Bericht an den Club of Rome „Earth for All – ein Survivalguide für unseren Planeten“ einzugehen. Von vielen Szenarien, die mit Hilfe eines weiterentwickelten Modells analysiert worden sind, hat das Autorenkollektiv zwei beschrieben: „Too little, too late“ und „Giant Leap“.
Noch sind wir bei „Too little, too late“. Der „Riesensprung“ ist aber möglich. Das zeigt auch die in 2021 aktualisierte World3-Modellrechnung von Gaya Harrington, Szenario „stabilized world“.
Damit Giant Leap gelingt, müssen wir, gemäß Earth for All, „die breiteste Koalition aufbauen, die die Welt je gesehen hat“. Ob die Networking-Gespräche nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung dazu beigetragen haben? Dann wäre der Arts and Nature Social Club seiner Mission „we inspire change“ gerecht geworden. Ich hoffe es sehr!
Filmische Zusammenfassung des Salons
Der Hydrogeologe Leonardo van Straaten engagiert sich nach über 35 Berufsjahren als Berater, Gründer und Geschäftsführer im Wassersektor aktuell u.a. im ANSC und als Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins M.A.R.S. 2035 (i.G.) für Klimaschutz und Klimaanpassung.