Club of Rome Salon: Nachhaltigkeit “mit oder durch” COVID-19? Mit Luisa Neubauer (Fridays for Future) und Peter Schwarzenbauer (ehemaliger BMW-Vorstand)
Der Arts & Nature Social Club und die Deutsche Gesellschaft Club of Rome luden am 23. Juni 2020 ins Berliner Hotel de Rome, um über die Coronapandemie als Chance für eine zukunftsfähige Welt zu diskutieren. Es sprachen Luisa Neubauer, Hauptorganisatorin von Fridays for Future Deutschland und Peter Schwarzenbauer, ehemaliges Mitglied des Vorstands der BMW AG und Experte für Transformation Elektromobilität. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von Alexandra Janzen.
Filmischer Rückblick auf den Abend:
Ausführliche Rückschau von Michael Metzmaier:
Es waren häufig Naturgewalten, welche die Welt zwar nicht komplett zum Stillstand brachten, doch für einen Augenblick deutlich entschleunigten. Als im März 2010 der isländische Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach, hatten dessen Aschewolken enorme Auswirkungen auf den Flugverkehr in weiten Teilen Nord- und Mitteleuropas: Zehntausende Flüge wurden gestrichen, Warenverkehr sowie Tourismus kamen stellenweise zum Erliegen. Dieses eher temporäre Ereignis ist vielen noch heute im Gedächtnis, steht jedoch in keinem Vergleich zu den wesentlich globaleren Folgen der Covid-19-Pandemie. Ab März 2020 blieben nicht nur Flugzeuge am Boden, auch ganze Industrieproduktion wurden lahmgelegt und es herrschte deutlich weniger Verkehr auf den Straßen: Im ersten Lockdown verringerte sich die Mobilität um etwa 40 Prozent, in den Städten sogar um 70 Prozent. Weniger Mobilität bedeutet weniger Geschwindigkeit, weniger Wirtschaft bedeutet weniger Wachstum. Die erzwungene Entschleunigung und Reduktion hatte auch positive Folgen. Aktuelle Daten zeigen, dass es in betroffenen Weltregionen durch den Stillstand zu einem massiven Rückgang der Luft- und Gewässerverschmutzung sowie des Kohlendioxid-Ausstoßes kam. Somit hat es eine Naturkatastrophe, und als solche sollte man den Ausbruch von SARS-CoV-2 durchaus bezeichnen, quasi über Nacht geschafft, was Befürworter eines effektiveren Klimaschutzes, einer ökologischeren Lebensweise und einer verantwortungsvolleren Wirtschaft seit langen fordern: Um unseren bedrohten Planeten zu retten kann es eine effektive Strategie sein, das Rad langsamer zu drehen und weniger, aber nachhaltiger zu produzieren – ein Konzept, welches auch der Club of Rome seit vielen Jahren für dringlich hält. Sein Bericht „Grenzen des Wachstums“ (Meadows et al.) aus dem Jahre 1972 hat eine breite öffentliche Diskussion über die ökologischen Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums und damit wichtige Fragen nach möglichen Alternativen zum vorherrschenden Wirtschaftsmodell angestoßen, die bis heute andauert.
Kann die Pandemie mit all ihren negativen, aber auch positiven Folgen eine Chance für eine zukunftsfähigere Welt sein? Eine Frage, die nicht nur die Deutsche Gesellschaft Club of Rome spannend findet, sondern auch der Arts & Nature Social Club. Beide gemeinnützige Organisationen kamen am 23. Juni 2020 zum ersten Mal im Club of Rome Salon zusammen – gemäß den Umständen online. „Nachhaltigkeit mit oder durch COVID 19″ war das Thema des Abends, zu dem zwei ganz unterschiedliche Gesprächspartner geladen waren.
Luisa Neubauer, Jahrgang 1996, ist Klimaschutzaktivistin und in Deutschland eine zentrale Figur der „Fridays for Future“-Bewegung. Wer sie allerdings auf ihre Rolle als „deutsches Gesicht“ von Fridays for Future reduziert, wird ihrer Person nicht gerecht: Luisa Neubauer ist seit Jahren u.a. für Generationengerechtigkeit und gegen weltweite Armut aktiv, machte 2020 ihren Bachelor of Science in Geographie und ist aktives Mitglied der Partei Die Grünen. Sie ist Co-Autorin des Buches „Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft“ und moderiert den Spotify-Podcast „1,5 Grad“. Luisa Neubauer tritt für einen deutschen Kohleausstieg bis 2030 ein und für eine Klimapolitik, die mit dem Übereinkommen von Paris vereinbar ist.
Peter Schwarzenbauer, Jahrgang 1959, blickt auf eine lange Karriere in der Automobilbranche zurück. Der studierte Betriebswirt mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb saß in mehreren Vorständen, u.a. bis 2012 bei Audi und bis 2019 bei BMW, wo er zuletzt die Bereiche Elektromobilität (einschließlich Car Sharing) leitete. Peter Schwarzenbauer setzt sich seit Jahren für die Transformation zur emissionsfreien Mobilität ein und ist Gründer der internationalen Plattform „Make The Planet Great Again“.
Zu Beginn des Abends begrüßte Johann Haehling von Lanzenauer, Initiator des Arts & Nature Social Clubs, die über 130 zugeschalteten Teilnehmer und umriss noch einmal die Ziele des gemeinnützigen Vereins. Der Arts & Nature Social Club hat sich zur Mission gemacht, die Kernfrage unserer Zeit zu kultivieren: Wie können wir als Spezies wieder besser in Harmonie mit der Natur sein und wie können wir uns so organisieren, dass wir weniger Schaden anrichten an allem Lebendigen? Der Arts & Nature Social Club möchte weltweit relevante Personen aus Kunst, Wissenschaft und Unternehmertum zusammenbringen, um gemeinsam Antworten zu finden. Johann Haehling von Lanzenauer versteht den Verein als Lobbyorganisation für die Natur und als ein grünes Business-Netzwerk. Hier sollen Freundschaften entstehen, Ideen ausgetauscht und Geschäftsverbindungen geknüpft werden, die auf persönlicher, ökonomischer und ökologischer Ebene einen Mehrwert schaffen: Von Inspiration zu Innovation, von Information zu Transformation.
„Inspiration und Kollaboration mit der Natur sollte unsere erste Ambition sein.“
Organisiert und moderiert wurde der Salon von Jörg Geier, Mitglied des Club of Rome wie auch dessen deutscher Sektion sowie Beirat im Arts & Nature Social Club. Als Stratege und Berater für nachhaltige Innovationen engagiert er sich für die Verankerung von mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen und insbesondere der Führungsetage.
„Es geht vor allem darum, das gegenseitige Lernen anzuregen und statt zu überzeugen, die Zielsetzung zu verfolgen, tradierte Denkmuster zu verändern.“
In seinen einführenden Worten stellt Jörg Geier fest, dass sich unser Planet in keinem guten Zustand befindet – und das nicht erst seit Covid-19. Viele Experten interpretieren die Pandemie als unmittelbare Folge eines exzessiven, Ressourcen vernichtenden Wirtschaftswachstums. Hier sieht er einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Warnungen des Club of Rome und der fatalen Bilanz von Covid-19: Die wohl größte Gefahr des SARS-CoV-2-Erregers liegt im exponentiellen Wachstum – ein Rechenmodell, das die Infektionskurve steil nach oben schießen lässt. Wechselt man von der Epidemiologie zur Ökonomie, gilt jedoch ein derartiger Kurvenverlauf bis heute in vielen Unternehmen als Idealvorstellung von Wachstum – so ein Graph verheißt schließlich traumhafte Gewinnaussichten. Dass so ein Wachstumskonzept in der Realität auf Dauer nicht funktionieren kann und weltweit großen Schaden anrichtet, stellte der Club of Rome schon 1972 mit „Die Grenzen des Wachstums“ fest, bis heute ein Umweltbestseller; kein anderes wissenschaftliches Werk verkaufte sich so oft. Ein Dokumentarfilm über die Entstehung der Studie erschien 2013 unter dem Titel „Last Call“. Jörg Geier bittet die Teilnehmer um eine Minute des Schweigens, um die Thematik nochmals zu reflektieren, bevor den Zuschauern ein Ausschnitt des Films gezeigt wird, der das berühmte „Schachbrettgleichnis“ thematisiert:
Einer Legende nach gilt der indische Brahmane Sissa ibn Dahir als Erfinder des Schachspiels. Zur Belohnung wollte König Shihram dem weisen Mann einen Wunsch erfüllen. Sissa ibn Dahir wünschte sich Weizenkörner, deren Menge sich von Schachbrettfeld zu Schachbrettfeld verdoppeln sollte: Auf das erste Feld eines Schachbretts sollte ein Korn gelegt werden, auf das zweite Feld sollten zwei Körner gelegt werden, auf das dritte Feld vier Körner, auf das vierte Feld acht Körner und so weiter. Der König lachte über die vermeintliche Bescheidenheit des Brahmanen, musste sich aber bald geschlagen geben: Bei 64 Schachbrettfeldern bekäme der Brahmane am Ende mehr als 18 Trillionen Körner, denn eine sich auf diese Weise verdoppelnde Körnermenge folgt dem mathematischen Gesetz des exponentiellen Wachstums. Auf die heutigen Kenngrößen des Saatguthandels umgerechnet, lägen auf dem imaginären Brett theoretisch etwa 730 Milliarden Tonnen Weizen, das Tausendfache der jährlichen weltweiten Weizenernte.
Ein einfaches Gleichnis, das zum Nachdenken anregt: Jörg Geier findet, dass die überlieferte Geschichte eine wunderbare Hommage an das Abenteuer des Geistes ist und damit eine der Urphilosophien des Club of Rome beschreibt. „Die Grenzen des Wachstums“ sahen die Initiatoren als Vehikel und Experiment an, die Menschheit wachzurütteln, um durch gemeinsame Lernprozesse eine lebenswertere Zukunft zu gestalten.
Auch aus der Corona-Krise können und müssen wir lernen: Was bedeutet Covid-19 für die Menschheit und was hat die Pandemie mit Nachhaltigkeit zu tun? An diesem Abend im Frühsommer 2020 erörterten Luisa Neubauer und Peter Schwarzenbauer diese Fragen, insbesondere mit Fokus auf die Themen Mobilität und Gesellschaft.
„Wir sind am Ende des Tages diejenigen, die mit den jetzt getroffenen Entscheidungen leben müssen.“ (Luisa Neubauer)
Luisa Neubauer berichtet in ihrem Impulsvortrag, dass sie momentan eine enorme Beschleunigung erlebe, was die Geschwindigkeit betreffe, in welcher Entscheidungen über die Zukunft getroffen würden. Da besonders ihre Generation diejenige sei, die sehr lange mit den daraus resultierenden Konsequenzen leben müsse, möchte sie an diesen Entscheidungsprozessen stärker beteiligt sein. Ist Corona eine Chance, etwas für das Klima zu tun, für die junge Genration und für die Welt? Dem Narrativ von „Corona als Chance“ steht Luisa Neubauer eher kritisch gegenüber, insbesondere in Bezug zur Mobilität. Für Luisa Neubauer ist das Verständnis von Corona als Chance ein gigantisches, fatales Missverständnis: Wir sprächen hier nicht von einer Chance, da es keine Option gäbe, so eine Chance einfach nicht wahrzunehmen und danach ginge das Leben eben weiter. Entscheidungsträger*innen ständen in der jetzigen Situation eben nicht vor einer Chance, sondern vielmehr vor einer klaren Verantwortung. Die riesigen Summen, die momentan zur Lösung der Krise in die Hand genommen würden, manifestieren laut Luisa Neubauer ein Stück weit Zukunft, eine Wirtschaftsweise, einen politischen Modus und Gesellschaftsräume von ungeheurer Tragweite. Deshalb sollten wir aus den Fehlern vergangener Krisenpolitik lernen.
Wir seien heute gefragt, Corona nicht als Chance wahrzunehmen, sondern als Herausforderung und Auftrag, alles dafür zu tun, die Entscheidungen so zukunftsfähig, so ökologisch tragbar und so gerecht wie möglich zu treffen. Die große Lehre aus Corona sieht Luisa Neubauer eher darin, dass es einen politischen Modus der Krisenbewältigung gibt, der auch gesellschaftlich und kulturell übertragbar sei, der Krisen ernst nähme und aus Krisen mehr mache als nur eine Bewältigung.
„Wir haben erlebt, dass auf einmal Politik gestalten kann, dass die Gesellschaft zusammenhalten kann, dass der Einzelne solidarisch sein kann.“ (Luisa Neubauer)
Das Verständnis darüber, dass uns dieser Modus weiterhelfen kann, lässt sich laut Luisa Neubauer auch ganz klar auf die großen Transformationen übertragen, die uns im Mobilitätssektor bevorstünden. In der gigantischen Herausforderung der Dekarbonisierung sieht sie deutliche Parallelen zur Covid-Krise: Es gehe hier wie dort um eine unbequeme Angelegenheit, die von uns erwarte, dass wir auf die Wissenschaft hörten, auch wenn uns deren Antworten nicht gefielen, dass wir Entscheidungen träfen, die kurzfristig keine Mehrheiten bringen würden, aber langfristig Zukunft garantierten, dass wir die Gesundheit der Menschen priorisierten, ihr Wohlergehen über das der stärksten Lobby stellten und dass wir auf die Menschen hörten, die am dringendsten Hilfe benötigten.
„Wir werden Wege gehen müssen, die wir noch nie gegangen sind.“
(Luisa Neubauer)
Luisa Neubauer zeigt sich erstaunt: Als es darum ging, gegen Corona vorzugehen, habe dieser Modus plötzlich funktioniert, mal mehr und mal weniger gut, aber ein Wechsel von einem auf den anderen Tag sei möglich gewesen. Luisa Neubauer glaubt, dass wir genau so einen Modus brauchen, wenn wir in Deutschland Mobilität gewährleisten wollen, die im Einklang steht mit unseren ökologischen Grenzen, mit dem Emissionsbudget, mit dem Pariser Abkommen und mit den Rechten der zukünftigen Generationen. Was diese Mobilitätstransformation, aber auch andere wirtschaftliche Transformationen angeht, haben wir laut Luisa Neubauer ein großes Zeitproblem: Die Zeit, die wir jetzt noch hätten, um Dekarbonisierungseffekte zu erzielen, sei unglaublich kurz und man werde radikale Entscheidungen fällen müssen. Die Menschheit stehe am Ende vor der Frage: Wie können endloses Ressourcenwachstum und fossiler Kapitalismus, die ganz klar an ihre Grenzen gekommen sind, zu etwas transformiert werden, was wirklich tragfähig ist? Diese für Luisa Neubauer überlebenswichtige Transformation könne nur gelingen, wenn Innovation und Exnovation verbunden werden. Ob E-Mobilität oder Energie aus Wasserstoff: Der Innovationsgeist sei vorhanden, damit aber richtig gute Konzepte ihre Wirkung entfalten können, müssten wir uns von alten Ideen verabschieden – und zwar ganz bewusst.
„Das Emissionsbudget ist die klarste Leitlinie, die wir in diesem Land haben, wenn es darum geht, wieviel wir uns eigentlich noch leisten können.“ (Luisa Neubauer)
Dieses „Exnovieren“ sei hierzulande eher unpopulär, weil wir viel lieber anfangen als aufhören, weil wir lieber loslegen als „Goodbye“ sagen. Solche Exnovationen bräuchten wir jedoch im Mobilitäts- und Energiesektor ganz bewusst. Als ein Beispiel, wo der Geist der Exnovation bereits Früchte getragen habe, nennt Luisa Neubauer die bewusste Verabschiedung vom Verbrennungsmotor in Innenstädten, die vielen Menschen in den letzten Jahrzehnten ein großes Stück Raum und damit Lebensqualität zurückgebracht habe. Es müsse jedoch nicht nur in den Metropolen Platz geschaffen werden für neue Ideen, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Ob Kohlekraft, kurzfristige Politik oder fehlende Mitbestimmung der jungen Generationen: Das bewusste Exnovieren von veralteten Technologien, politischen Szenarien und kulturellen Gewohnheiten, für die wir keine Zeit, keinen Raum oder kein ökologisches Setting mehr haben, muss laut Luisa Neubauer ein fundamentaler Teil dieser Transformation sein. Allerdings gibt sie zu bedenken, dass jede der Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, davon abhängen, welches Emissionsbudget wir in Deutschland noch verkraften können, bevor es zum “Point of no Return“ kommt – und dieses Budget sei erschreckend gering.
„Wir waren in den letzten Monaten alle ganz tolle Analysten, aber beim Handeln sind wir noch nicht ganz so weit gekommen.“ (Peter Schwarzenbauer)
Peter Schwarzenbauer stellt zu Beginn seines Impulsvortrags etwa überraschend fest, dass er möglicherweise der falsche Gesprächspartner für diese Runde sei. Als Vertreter der Automobilindustrie säße er, was die Forderungen von Fridays for Future angehe, zwar eigentlich auf der anderen Seite des Verhandlungstisches, dennoch könne er Luisa Neubauers Ausführungen in den meisten Punkten voll und ganz zustimmen. Inzwischen sei durch Organisationen wie Fridays for Future zwar schon viel Gutes erreicht worden, dennoch fragt sich Peter Schwarzenbauer: „Warum tun wir uns in der Umsetzungsphase der mobilen Transformationen nach wie vor so schwer? Warum hat es die Pandemie geschafft, dass plötzlich starke Einschränkungen akzeptiert, große Rettungsschirme aufgespannt und riesige Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht werden?“ Plötzlich sei scheinbar Geld ohne Ende da. Als es vor der Pandemie um Klimaschutz ging, war immer alles zu teuer – ein Totschlagargument, dass laut Peter Schwarzenbacher in Zukunft nicht mehr zieht. Auf der einen Seite wird schnell gehandelt, auf der anderen Seite trotz Erkenntnis gezögert: Peter Schwarzenbauer sieht in diesem Messen mit zweierlei Maß eine zutiefst menschliche Verhaltensweise: Bei Corona habe jeder das Gefühl, er könnte auch persönlich betroffen sein, während Klimaschutz für viele Menschen immer noch sehr abstrakt und ganz weit weg sei. „Der dramatische Zustand, in dem sich unser Planet befindet, wird zwar von vielen intellektuell verstanden, aber der direkte Impact von vielen noch nicht wirklich gespürt“, so Peter Schwarzenbauer. Jeder müsse sich die Fragen stellen: „Welche Verantwortung habe ich individuell, welche Verantwortung habe ich kollektiv, welches Verhalten leite ich von dieser Verantwortung ab und kann ich das mit meinem Gewissen vereinbaren, wie ich heute handle?“
„Es wird nur eine Lösung geben, wenn wir die Strukturen komplett aufbrechen und alle mit am Tisch sitzen.“ (Peter Schwarzenbauer)
Wie können wir an Lösungsansätze kommen, die wirklich etwas verändern? Peter Schwarzenbauer glaubt, man müsse den Fokus weniger auf Debatten über eher abstrakte und für viele immer noch schwer verständliche Definitionen wie etwa Umweltschutz oder Nachhaltigkeit legen, sondern sich verstärkt in eine Phase konkreter Maßnahmen begeben. Konkret gehandelt werden müsse vor allem in den Bereichen Bildung, Ernährung, Energie und Mobilität. Als Beispiel für so einen Übergang vom Schlagwort zur Handlung nennt Peter Schwarzenbauer das Thema Schulspeisungen. Nachdem eine Bewegung wie Fridays for Future den Begriff der Nachhaltigkeit populär gemacht habe, sei es jetzt wichtig, in einer „Phase 2“ ins Handeln zu kommen: So könnte eine Forderung sein, in allen deutschen Schulspeisungen nur noch regionale Bioprodukte anzubieten, andernfalls würden die Schüler ihre Mensen nicht mehr besuchen. Peter Schwarzenbauer glaubt, dass dadurch eine Diskussion ausgelöst werden könne, die weit über das Thema Schulspeisungen hinausgeht. Mit solchen Aktionen könne man das Konsumentenverhalten dramatisch beeinflussen.
Am Ende seines Impulsvortrags kommt Peter Schwarzenbauer auf sein Steckenpferd, die Mobilität, zu sprechen. Als Manager mit tiefem Einblick in die Strukturen der Automobilindustrie habe er die Erfahrung gemacht, dass in diesem Sektor eine Veränderung momentan noch extrem abhängig sei von einzelnen Playern. Doch es bräuchte Teamarbeit, um urbane Mobilität systematisch und von Grund auf zu verändern. Ein einzelner Player könne diese Transformation unmöglich bewerkstelligen – egal wie groß er sei. Ein wichtiger Schlüssel liegt laut Peter Schwarzenbauer in der Strategie, verschiedene Köpfe mit verschiedenen Perspektiven an einen Tisch zu bringen. Als konkreten Lösungsansatz schlägt Peter Schwarzenbauer eine Kooperation aller Beteiligten vor: Fridays for Future könne zum Beispiel Roundtable-Gespräche organisieren, die eine systematische Transformation des Mobilitätssystem einer Stadt auf den Weg bringen sollen.
Musikalische Interludien während der Salons sollen den Gästen einen Moment des Innehaltens ermöglichen, um das Erlebte zu verinnerlichen und zu reflektieren. Die Berliner Songwriterin Alexandra Janzen beschreibt ihre Songs als besondere Musik mit Tiefgang zwischen Reflexion und Fröhlichkeit, die ermutigen sollen, Neues zu wagen. Auf ihrem aktuellen Album „Erinnerung an die Zukunft“ stellt sie die Frage „was ist es, das uns vereint?“ und ergänzt mit ihrem Auftritt die Thematik des Abends. In ihrem Song „Wesentlich“ thematisiert Alexandra Janzen den scheinbar unausweichlichen Imperativ von Geschwindigkeit und Wachstum: „immer höher, immer schneller, immer weiter“ – ein passender Einstieg in die folgende Diskussion.
Moderator Jörg Geier möchte wissen: Wie können wir entschleunigen und was können wir tun, um im Alltag das Tempo etwas herauszunehmen? Luisa Neubauer beobachtet ein Auseinanderklaffen der Geschwindigkeiten: Warenaustausch, Nachrichtenverbreitung oder politische Entscheidungsprozesse würden durch die Hyperglobalisierung in einem noch nie dagewesen Maßstab beschleunigt, gleichzeitig könnten aber kulturelle und gesellschaftliche Identitäten dieser Beschleunigung nicht folgen. Ein Mensch könne dem Tempo der Welt kaum noch hinterherkommen und bräuchte drei bis vier Mindsets, um diese Komplexität greifen zu können. Die gigantischen Mengen an Gegenwarts- und Zukunftswissen würde unser Erfahrungswissen teilweise verdrängen und entwerten. Luisa Neubauer sieht als ersten Schritt zur privaten Entschleunigung die Bewusstmachung, woher denn die Beschleunigung eigentlich kommt. Es gelte, Entschleunigungsoasen zu schaffen und Langsamkeit als kulturelles Gut zu zelebrieren – ohne dabei jedoch auszublenden, dass wir uns den negativen Folgen der Hyperbeschleunigung, die einhergeht mit zunehmender Ressourcenausbeutung und Ungerechtigkeit, nach wie vor widmen müssen. Luisa Neubauer glaubt, dass es ganz verschiedene Strategien zur persönlichen Entschleunigung gäbe, da jeder Mensch seine eigene Geschwindigkeit habe. Sie selbst empfiehlt, sich dreimal am Tag zu fragen: Wo bin ich, wie geht es mir, worauf freue ich mich und wofür bin ich dankbar? Ein guter Weg, sich in der Hektik nicht selbst zu verlieren, sei zudem ein Resümee des Tages: Wofür habe ich was gemacht?
„Durch Yoga-Retreats oder Bücher lesen werden die strukturellen Probleme der weltweiten Hyperbeschleunigung nicht gelöst.“ (Luisa Neubauer)
Peter Schwarzenbauer gibt zu bedenken, dass man wohl nicht das ganze „System Hamsterrad“ verändern, dafür aber einiges tun könne, um sich selbst zu schützen. Anders als Luisa Neubauer blickt er aber weniger auf den Tag zurück, sondern schaut eher nach vorne: In seiner aktiven Zeit im Konzern habe er sich morgens vor der Arbeit die zwei, drei Dinge überlegt, die er auf jeden Fall gelöst haben möchte – alle anderen Themen wurden nicht so intensiv behandelt. Durch den Fokus auf das Wesentliche habe er sich effektiv Raum geschaffen. Peter Schwarzenbauer berichtet außerdem, dass er früher immer sehr konsequent dabei war, seine persönliche Entschleunigungsoase abzuschirmen. Bis heute habe er es beibehalten, am Samstag und Sonntag telefonisch nicht erreichbar zu sein. Sein Credo: Geschäftliche Dinge lassen sich fast immer auch noch am Montagmorgen erledigen. Auch wenn viele Menschen dieser Frage gerne aus dem Weg gingen, sei es wichtig, sich selbst zu fragen: Warum tue ich gerade, was mich beschäftigt, und ist es auch in meinem Sinne?
„Jeder sollte sich die berühmte, aber unbequeme Warum-Frage stellen.“ (Peter Schwarzenbauer)
Jörg Geier greift das Wort „Exnovation“ auf und möchte von den Referenten wissen, wie es beim „Ausmisten“ gelingen kann, alte Muster, Denkweisen, Gewohnheiten oder Abhängigkeiten zu überwinden und Innovation zu gestalten, ohne dass dabei viele Menschen auf der Strecke blieben. Mit Blick auf den Kohleausstieg und die dabei wegfallenden Arbeitsplätze stellt er die Frage: „Wie können wir diese Veränderungen auf humane Art angehen?“
Luisa Neubauer gefällt an Fridays for Future, dass sie als junge Bewegung ganz vieles neu machen dürfen, ohne dabei in alte Routinen und Verhaltensmuster abzugleiten. Es wurde bei Fridays for Future von Anfang an sowohl innovativ als auch exnovativ gedacht. In Politik und Wirtschaft sieht sie hingegen wenig positive Sanktionierungsmechanismen, die sich für Exnovation einsetzen: Goutiert würden nur Macher und Gestalter, doch wer ein etabliertes Konzept beenden möchte, das sich im Nachhinein als falsch erwiesen hätte, habe es meist schwer. Hier bringt sie den Begriff des „Entlernens“ in die Diskussion: Der Wille zu Verabschiedung und Transformation hätte auch eine große Bildungskomponente: Was für ein Zeitverständnis, was für ein Selbstbewusstsein und was für ein Verstehen der Natur werde der kommenden Generation beigebracht? Luisa Neubauer hält es für dringend notwendig, dass wir unser ausbeuterisches Verständnis der Natur wieder „entlernen“. Gelehrt und erlernt werden müsse stattdessen ein gleichberechtigtes und ökologisch nachhaltiges Naturverständnis.
„Für die Zukunft von Arbeitsplätzen wird die Zukunft von Generationen kaputt gemacht.“ (Luisa Neubauer)
In der Arbeitsplatzdebatte wundert sich Luisa Neubauer darüber, dass der fragwürdige Status Quo mancher Industrien durch Arbeitsplätze legitimiert werde: Exnovation und Transformation würden häufig mit dem Argument ausgeschlossen, sie gefährdeten Arbeitsplätze. Selbstverständlich sei die Existenzsicherung der Menschen genauso wichtig wie Identität durch Arbeit und Beschäftigung. Luisa Neubauer bemängelt jedoch, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Bewusstsein, dass Arbeitsplätze wichtig seien, nicht zwei essentielle Fragen stellten: Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus und wie die Zukunft der Arbeit? Statt schädliche Industrien künstlich zu erhalten, die die Zukunft von Generationen zerstörten, sollten lieber Arbeitsplätze gestaltet werden, die nicht nur unsere ökologischen Grenzen respektierten, sondern auch die Freiheiten von Menschen in Entwicklungsländern und zukünftigen Generationen.
„Gewohnheiten sind der Feind eines systemischen Wandels.“
(Jörg Geier)
Jörg Geier unterstreicht, dass es häufig Gewohnheiten sind, die systemischen Wandel behindern. Von Peter Schwarzenbauer möchte er wissen, ob auch Wachstum eine Gewohnheit sei, ob und wie wir die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum auflösen, Verhaltensmuster und Gewohnheiten ändern könnten. Peter Schwarzenbauer zweifelt daran, dass sich die dringenden Probleme unserer Zeit lösen lassen, indem man einzig das Wachstum zum Zentrum der Debatte mache. Als ehemaliger Vorstand eines Dax-Konzerns kennt er die Zielkonflikte, die in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hätten: Ein Unternehmen soll sich komplett umweltfreundlich aufstellen, die Finanzwelt fordert Rendite, es gilt Aktionäre zufriedenzustellen und auch Betriebsräte wollen mitreden. Um das System wirklich zu verändern, müssten, wie er bereits zuvor angedeutet hatte, alle drei großen Player zum Bewegen gebracht werden: Finanzwelt, Hersteller und Konsument, jeder hätte bei der Transformation eine Rolle zu spielen. Im Sektor der Mobilität könne der Konsument bereits eine entscheidende Rolle spielen und ein anderes Signal setzen, so Peter Schwarzenbauer. Bisher sei es so, dass Elektroautos den Herstellern noch nicht aus den Händen gerissen würden.
Und auch bei den Carsharing-Konzepten sieht Peter Schwarzenbauer den Konsumenten verstärkt in der Pflicht: Da er stark in diesen Sektor involviert war, weiß der Automobilexperte zu berichten, dass es bisher noch kein Anbieter geschafft habe, mit Carsharing Geld zu verdienen. Zum einen konkurriere dieser Bereich noch stark mit dem gut funktionierenden Geschäftsmodell des Autoverkaufs, zum anderen sei man innerhalb der Konzerne noch wenig bereit, zugunsten dieses Zukunftsmodells andere Sektoren zu exnovieren – hier schließe sich der Kreis der heutigen Debatte. Um „Mobility on Demand“ erfolgreich aufzustellen, brauche es im Unternehmen Mehrheiten und vor allem Konsumenten, die zugriffen: Je mehr Menschen diesen Service in Anspruch nähmen, umso mehr würde das die Köpfe unterstützen, die im Unternehmen dafür kämpften. Dies zeige, dass eben doch jeder einzelne Einfluss habe.
“Es ist tragisch, dass unser ganzes Wirken und Wandeln auf den Moment reduziert wird, wo wir an der Kasse stehen.” (Luisa Neubauer)
Luisa Neubauer greift an dieser Stelle in die Debatte ein, da sie einerseits einen Widerspruch darin sieht, die Sharing Economy radikal kommerzialisieren zu wollen: Das entspräche nicht dem gemeinschaftlichen, uneigennützigen Geist dieser Idee. Andererseits stört sich Luisa Neubauer an der Einteilung in Wirtschaft, Finanzwelt und Konsument. Ihrer Meinung nach liege eine der Hauptursachen für das Nichthandeln und Nichtverändern darin, dass Menschen auf ihre Rolle als Konsumenten reduziert würden. Doch Menschen seien viel mehr als das, nämlich politische Wesen und Teil einer Demokratie. Ein systemischer Wandel würde nicht an der Supermarktkasse entschieden, sondern in politischen und gesellschaftlichen Debatten. Man dürfe hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln: Für Luisa Neubauer war die wichtigste individuelle Verhaltensänderung in Deutschland nicht etwa, dass sich immer mehr Menschen vegan ernähren, sondern dass mehrere Millionen Menschen jeden Freitag für das Klima gestreikt haben.
Es wurde eine Masse aufgebaut, die Veränderungen bewirken konnte. Deshalb sieht es Luisa Neubauer als eine dringliche Aufgabe an, das demokratische Bewusstsein der Bürger und deren Bewusstsein über ihre Macht als politisches Wesen zu schärfen. Auch hier schließt sich der Kreis, so haben wir es laut Luisa Neubauer dabei doch mit Bildungs- und Gemeinschaftsfragen zu tun. Eine wichtige Antriebsfeder der Proteste seien die Fragen der Kinder an ihre Eltern gewesen: „Papa und Mama, was machst du da eigentlich bei der Arbeit und wie stehst du zu meiner Zukunft?“ Es waren Kinder, die ihre Eltern herausforderten, und dadurch kamen weltweit Menschen ins Gespräch. Um diesen Dialog noch stärker zu beleben, müsse ein Schulmodell auf den Weg gebracht werden, das nicht nur auf maximale Funktionalität ausgelegt sei. Luisa Neubauer findet, dass nach wie vor oft nicht für das Leben, sondern für die Schule gelernt würde. Sie hätte häufig das Gefühl gehabt, in der Schule nur das Lernen zu lernen, nicht aber soziale Kompetenzen. Gelehrt und gelernt werden müsse vielmehr freies, unabhängiges Denken, Gesellschaftsverständnis, Gruppenkommunikation, Interventionsfähigkeit, Neugierde und Selbstbewusstsein.
„Wir können die Klimakrise ignorieren, nicht aber die Zukunft unserer Kinder.“ (Luisa Neubauer)
Schaut sich Peter Schwarzenbauer den Bereich Bildung an, glaubt er nicht, dass eine notwendige systemische Veränderung des Bildungssystems von den jetzigen Entscheidern kommen wird. Hier könne er sich eine Kooperation mit Fridays for Future und dem Club of Rome vorstellen, um das Bildungssystem umzukrempeln, Wer könne die bildungspolitischen Probleme besser einschätzen als diejenigen, die noch im System stecken? Mit wissenschaftlicher Begleitung könne so ein Joint Venture erheblichen Einfluss auf den Bildungssektor haben.
Nach fast zwei Stunden regen Austausches bittet Moderator Jörg Geier die beiden Diskutanten noch um ein paar abschließende, inspirative Worte.
“Der Possibilismus ist die aktivierte Haltung in der Krise.” (Luisa Neubauer)
Luisa Neubauer kommt auf den Club of Rome zu sprechen und betont, dass ihr die inspirativen Arbeiten der Organisation gezeigt hätten, dass es weder neu noch radikal sei, Wachstum in Frage zu stellen. Man müsse dabei nur das Vermögen haben, Wachstum differenziert zu betrachten: „Welches Wachstum tut gut und welches schadet?“ Dann sei es möglich, viel offener und freier darüber zu reden. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass mehr Zufriedenheit, Glück, Wohlergehen, Gesundheit, Bildung und Freiheit überhaupt nicht davon abhingen, wie weit wir ökonomisch wachsen würden. Tief beeindruckt habe sie das Konzept des Possibilismus, das sie auch in ihrem Buch beschreibt. Optimismus sei zwar schön, aber trügerisch, weil er dazu animieren könnte, sich untätig zurückzulehnen. Der Possibilist hingegen sieht, was möglich ist und versteht, dass er sich für die Veränderung aktiv einsetzen muss. Diese aktivierte Haltung könnte auch als Leitbild für den Weg aus der Coronakrise dienen: Wir müssen selbst die Veränderung sein, die wir sehen wollen.
“Ich glaube immer noch an das Gute im Menchen” (Peter Schwarzenbauer)
Peter Schwarzenbauer wünscht sich, dass wir wirklich die eine oder andere, zuvor noch nicht gedachte Kooperation zustande bringen. Es sei jetzt genug diskutiert worden und man müsse die Dinge verändern. Wichtig sei dabei, dem anderen nicht nur zuzuhören, sondern ihn auch verstehen zu wollen und stets fair miteinander umzugehen.
„Ganz wichtig ist, dass wir jetzt ins Handeln kommen!“
(Alexandra Janzen)
Alexandra Janzen zeigt sich sehr berührt davon, so viele Menschen über dieses Thema sprechen zu hören und konnte sich in vielen Dingen wiedererkennen. Ihr letzter Song des Abends könnte das Motto sein, um die wichtigen Veränderungen noch leidenschaftlicher voranzutreiben: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“