Jörg Geier: Der Wandel als Grundlage des Fortschritts
Der Wandel als Grundlage des Fortschritts
Ein Essay von unserem Programmdirektor Jörg Geier, zuerst veröffentlicht im März 2021 für die Deutsche Gesellschaft Club of Rome
„Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
(Victor Hugo)
Dass das Leben ständigen Veränderungen – und entsprechenden Anpassungen auf neue Realitäten – unterliegt, ist vielleicht eine Binsenweisheit. Dennoch erkennt man hieran einen weitläufigen Denkfehler: In der Regel planen wir im Kleinen als Individuen und im Großen als Gesellschaften nächste Schritte (taktisch wie auch strategisch) auf Basis von vergangenen Erfahrungen – i.d.R. als lineare Fortsetzung des uns Vertrauten.
Wenn man jedoch davon ausgeht, dass wir zunehmend exponentiellen Wachstumszyklen unterliegen (auch „Hockeystick-Kurve“ genannt) und das auf unterschiedlichen Ebenen – die Coronavirus-Pandemie , technologische Entwicklungen und der Klimawandel sind hier nur einige Beispiele –, dann stellen sich die gesellschaftlichen und individuellen Herausforderungen, die sich aus dem Wandel ergeben, ganz anders dar. Da es sich um globale und langfristige Herausforderungen handelt, deren Lösung eine internationale Zusammenarbeit erfordert, können wir uns nicht mehr auf unsere eigene Komfortzone zurückziehen. Lineares Denken führt im schlimmsten Falle zu irreversiblen Konsequenzen. Der ehemalige Weltbank-Ökonom Herman Daly spricht in diesem Zusammenhang von einer „vollen Welt“, welche die Voraussetzungen der neoklassischen Theorie (und damit der „leeren Welt“) auf den Kopf stellt.
Plötzlich müssen wir uns entscheiden, ob wir eine aktive Rolle als Gestalter einer nachhaltigen Zukunft einnehmen möchten, zumindest wenn wir dieser nicht hilflos ausgeliefert sein möchten. Denn die Herausforderungen unserer Zeit sind auch Aufforderungen zum Handeln: Und dies nicht mehr bloß in Bezug auf unsere persönliche Zukunft, sondern auf die aller Menschen.
Ein grundsätzliches Umdenken ist erforderlich
Einer der großen globalen Paradigmenwechsel in den kommenden Jahren wird einer vom Individualismus hin zum Kollektivismus und vom Wettbewerb hin zu mehr Kollaboration sein. Dies muss nicht bedeuten, dass wir unserer persönlichen Freiheiten beraubt werden, uns in Richtung zunehmender Verstaatlichung oder eines zentralisierten Regelungsregimes bewegen (weder auf nationaler noch auf globaler Ebene). Ganz im Gegenteil: Technische Innovationen eröffnen uns gigantische Möglichkeiten, unsere Zukunft mit externer bzw. automatisierter Hilfe individuell zu gestalten. Die Möglichkeiten des 3D-Drucks machen dies bereits deutlich . Auch das Prinzip der Open Innovation zeigt uns auf, dass Kooperation durchaus möglich ist, ohne Marktgesetze außer Kraft zu setzen . Dies erfordert jedoch ein grundsätzliches Umdenken. Denn was zunächst als Widerspruch erscheinen mag, zeigt uns womöglich einen Weg aus der Zwickmühle auf vor dem Hintergrund planetarer Grenzen: Jørgen Randers, Johan Rockström und weitere Autoren legen in „Transformation is feasible: How to achieve the Sustainable Development Goals within Planetary Boundaries“ (dt.“Transformation ist machbar: Wie man die UN-Nachhaltigkeitsziele innerhalb planetarer Grenzen erreichen kann“) dar, welche Strategien notwendig sind, um mittels systemischer Eingriffe die UN Sustainable Development Goals (SDGs) bis 2030 zu erreichen.
Neue Realitäten
Um gesamtgesellschaftlichen Wohlstand vor dem Hintergrund planetarer Grenzen zu erreichen, müssen wir bereit sein, unser Verhalten an neue Realitäten anzupassen und die Kollaboration mit anderen Akteuren in den Vordergrund zu stellen. Dabei gilt es, den Wandel so vorantreiben, dass am Ende alle gewinnen und am Wohlstand partizipieren können.
Hierbei sollten wir uns Handlungsoptionen vor Augen halten, die bereits jetzt die Herausforderungen unserer Zeit im Blick haben: Das Konzept der „Blue Economy“ zeigt über 100 Fallbeispiele für nachhaltige Geschäftsideen auf. Zwischen 2007 und 2017 lud das Buckminster Fuller Institute jedes Jahr Wissenschaftler, Unternehmer, Planer, Designer, Architekten, Aktivisten, Künstler und Studenten aus der ganzen Welt ein, ihre innovativen Lösungen für einige der dringendsten Probleme der Menschheit einzureichen. Das Fuller Challenge Archive führt die 350 “Best of”-Einreichungen während des 10-jährigen Bestehens des Wettbewerbs auf. Climate Solutions 101 des Project Drawdown ist die weltweit erste große Bildungsinitiative, die sich ausschließlich auf Lösungen konzentriert. Anstatt bekannte Klimaprobleme aufzuwärmen, konzentriert sich Project Drawdown auf wegweisende Klimamaßnahmen, die auf wissenschaftlicher Forschung und Analyse basieren.
Die Zeit ist reif
Positive Zukünfte und gesellschaftlicher Wandel sind individuell und gemeinschaftlich gestaltbar und wir alle können daran mitwirken! Dies erfordert jedoch die Bereitschaft, tradierte Denkmuster hinter sich zu lassen und sich dem Neuen und Unbekannten zu öffnen. Die Zeit ist reif. Oder in den Worten von Victor Hugo: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Jörg Geier